Britta Keber

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Die Deklassierung der Form

Der französische Bibliothekar, Schriftsteller und Philosoph Georges Bataille hat 1929/30 den Begriff des Formlosen in die Philosophie- und Kunstdebatte eingebracht. Bataille, vom Surrealismus kommend hatte in der Zeitschrift „Documents“ eine Ästhetik des Unähnlichen formuliert: „Es geht darum, alles in einen Gehrock, in einen mathematischen Reitmantel zu stecken. Dagegen läuft die Annahme, dass dem Universum nichts ähnelt und es nur formlos ist, auf die Aussage hinaus, dass das Universum so etwas wie eine Spinne oder wie Spucke sei.“ Rainer Maria Kiesow, Henning Schmidgen (Hrsg.), Kritisches Wörterbuch, Berlin: Merve Verlag, 2005, S. 4 Und der amerikanische Countrysänger Will Oldham aka Bonnie Prince Billy erklärt das musikalische Konzept seines Frühwerkes mit: „ ... the way small impulses can bellowed out into flaming, murderous passions.“


Die grafischen und malerischen Arbeiten von Britta Keber kommen ohne Gehrock daher, an ihre Arbeit geht sie leidenschaftlich heran. Deutlich wird dies zuerst in ihren grafischen Blättern. Mit Vasari ist ja die Zeichnung die ursprünglichste und spontanste Ausdrucksform der Bildenden Künste. „ Il disegno“ geht aus dem Intellekt hervor, aus einem geistigen Bild, einer Vorstellung.


Die Kunst Britta Kebers ist in ihren Zeichnungen bereits konzeptuell angelegt und wird in der Malerei dann mit Farbe auf großem Format erweiternd fortgeführt. In einem offenen Gestaltungsprozess werden da wie dort kraftvoll Energien freigesetzt, wird aus einem emotionalen Impuls ein gestaltendes Geschehenlassen. Damit steht sie einerseits in der Tradition des „Abstrakten Expressionismus“, wo die Leinwand zur Arena des subjektiven Ausdrucks wird und dieser so als individueller Freiheitsbegriff verhandelt wird, andererseits wird in ihren Arbeiten eine dinghafte Form nie gänzlich eliminiert. Das bringt sie, was die österreichische Kunst angeht, in die Nähe zu Kurt Kocherscheidt. Auch Keber trifft die Entscheidung zwischen abstraktem Nachbild und gesehener Gegenständlichkeit in ihrer Malerei nicht, sondern agiert „in between“. Das Formlose findet als Deklassierung der Form zu neuen Formen, geht vom Ähnlichen zum Unähnlichen über. Es sind dann auch organische Formen, gesehen in der Natur oder an gefundenen Gegenständen, die Britta Keber in ihrer Arbeit dann in Zeichen verwandelt, in Zeichen, die sich jeder eindeutigen Lesbarkeit entziehen und damit auch inhaltlich einem offenen Bildkonzept entsprechen.


Es sind die großen Emotionen zwischen Eros und Tod, die Keber in ihren Bildern als existentielle Äußerungen benennt, auch die Frage nach dem Schönen und Hässlichen. Britta Keber hat eine Vorliebe für die antiästhetische Kategorie Schmutz. Sie bevorzugt schmutzige, erdige Farbtöne und eine Materialität ohne jeden oberflächlichen Glanz. Die Leinwände sind wie Segeltücher genäht, die Papiere unterschiedlicher Qualitäten collagiert als seien sie gewachsen wie in der Natur. Als Seglerin der rauhen Natur nahe, kennt sie deren Prozesse und bringt sie mit körperlichem Einsatz auf die Leinwand.Die Intensität des Pinselstriches wird dabei genau so sichtbar, wie eine Poesie der Zeichen. Britta Keber ist interessiert am Ungefestigten, Brüchigen, ihre Malerei findet darin ihre Unaustauschbarkeit.


Bringing Form Down in the World

The French librarian, writer and philosopher Georges Bataille introduced the notion of the formless (l’informe) into the philosophical and artistic debate in 1929/30. Bataille, hailing from surrealism, formulated an aesthetic of dissimilarity in Documents magazine: „It is a matter of giving a frock coat to what is, a mathematical frock coat. On the other hand, affirming that the universe resembles nothing and is only formless amounts to saying that the universe is something like a spider or spit. The American country singer Will Oldham aka Bonnie Prince Billy, in turn, explains the musical concept of his early work as follows: „... the way small impulses can bellow out into flaming, murderous passions.“


Britta Keber’s works of drawing and painting come along without any frock coat, and she tackles her work with passion. This first becomes apparent in her graphic works. According to Vasari, drawing is the most original and spontaneous form of expression in the fine arts. „Il disegno“ is born of the intellect, of an image in the mind, an idea.


Britta Keber’s art is already conceptual in her drawings and is continued and expanded in her painting on a large format with the aid of colour. In an open compositional process, she unleashes potent energies in both, taking an emotional impetus to allow things to happen and give form. As such, on the one hand she follows in the footsteps of „abstract expressionism“, in which the canvas becomes the arena of subjective expression, that is negotiated as an individual concept of freedom. On the other, she never wholly eliminates material form from her works. In terms of Austrian art, this puts her close to Kurt Kocherscheidt. In her painting, Keber too does not make a decision between abstract afterimage and seen objectivity, but instead operates „in between“. As a debasement of form, the formless attains to new forms, shifting from the similar into the dissimilar. Indeed, it is organic forms, discovered in nature or in objets trouvés, that Britta Keber then transforms into signs in her work, signs that defy any unequivocal reading and thus tie in with an open concept of the image.


It is the grand emotions between Eros and death that Keber designates as existential utterances in her images, including the question as to what is beautiful and ugly. Britta Keber has a penchant for the anti-aesthetic category of dirt. She prefers dirty, earthy hues and a materiality innocent of any superficial lustre. The canvases are sewn in the style of sailcloths, the papers of different qualities collaged as if naturally grown. Being a yachtswoman and thus close to nature, she is familiar with its processes and renders them on canvas with physical effort. The intensity of the brushstroke becomes just as evident as a poetry of signs. Britta Keber is interested in the unstable, the unsound, and it is in this that her painting finds its distinctive expression.


Günther Moschig, 2015



Textpassage von Maria Holter zur Ausstellung spells von Britta Keber und Kevin A. Rausch 2011

Im physisch-emotionalen malerischen Zugang, der an der sehr offenen, raschen Pinselführung, aber auch an der belassenen Transparenz der vielschichtigen Übermalung visuell nachzuvollziehen ist, schließt sich das Werk von Kevin A. Rausch wieder mit Britta Kebers zusammen. Gemeinsam ist ihnen auch die Vorliebe für grafische Einsprengsel, zeichnerische Kürzel in der Malerei sowie für kalte Farbtöne und die Nonfarben Schwarz, Weiß und Grau.

Auch Kebers Weiß ist nicht bloß eines, sondern ein mehrfaches, vielfach erprobtes und weiterentwickeltes, so wie die Inuit viele Wörter für Schnee haben. Wie in der Musik variiert und improvisiert Keber über das selbstgewählte Thema.



Manöver auf Leinwand, Papier und Segel – Textpassagen zum Katalog von Britta Keber Barbara Baum, Strabag Kunstforum 2010

- Leben auf dem Boot bedeutet Understatement - und das trifft die Arbeit der Künstlerin genau: ein reifes, emotional bestimmtes Werk ohne Manipulation, von sprödem, poetischem Reiz. Ein kleines Universum mit ganz eigener Sprache, die sich nicht sofort erschließt. Denn Leichtigkeit ist hier gepaart mit dem enormen Tiefgang der existentiellen Suche. Das Papier ist mein Segel, meint Britta Keber.

- eine Fülle der Zwischentöne, keine Spur von Zuviel, sehr trocken gemalt, bodenständig, immer Part der Natur, sehr intim, diffus und doch dazwischen messerscharfe Kontur.


In der Flüchtigkeit liegt nicht immer nur Zufall, sondern künstlerisches Know-how. Hier sieht man Malerei in ihrem ursprünglichen Sinn: einerseits äußerst perfektionierte Technik mit sehr sichererer, über die Jahre angeeigneter Strichführung - andererseits ein enormer Hang zu künstlerischer und innerer Freiheit.

Viele stehe ratlos vor dieser zeitlosen Arbeit, frei von Modernismen und Kalkül, straight und doch etwas melancholisch. Man könnte Britta Kebers Arbeiten als völlig abstrahierte, von der inhaltlichen Bedeutung des Gegenstands losgelöste Stillleben interpretieren, handelt es sich doch um unkonventionelle Arrangements von Gegenständen, deren Auswahl und Gruppierung allerdings nach emotionalen, oft unbewussten Aspekten erfolgt. Zentriert ist keines der Bildelemente, vielmehr geht es um Entfremdung, um Raum, um Annäherung, um die Aufhebung von Wertigkeiten.

Die gedankliche Flucht, die Ablenkung vom Normdenken in der aktuellen Kunst sind es, die die Arbeiten Britta Kebers reizvoll machen. Es muss kein Zentrum geben, außer man sucht es. Britta Keber wird sich weiterhin den künstlerischen Herausforderungen stellen und gegen den Wind kreuzen.



Textpassage von Martina Mosebach-Ritter zur Ausstellung das Blau des Himmels von Britta Keber im Juni 2008

- dann verflüchtigt sich die Linie in die Fläche, aus dunklem Gekritzel entstehen malerische Setzungen. Fast haptisch verdichtet Keber mit abstrakt farbigen Flächen das Bild, um dann wiederum abzubrechen und mit feinen, genau ausformulierten gegenständlichen und figürlichen Abbildern eine Art Bildthema einzuflechten. Die Bildkompositionen beschränken sich aber nicht nur auf das Lineare, Malerische und das Figürliche. Sie werden durch collagenhafte Elemente ergänzt. Das Matreialhafte des Zeichen- und Malgrundes- teilweise zusammengestückelt, weil das beschädigte Papier auch noch ein wertvolles ist- wird integriert und zum Bestandteil des Blattes.


- so finden sich Analogien oder Verweise zum Informellen, zur „Bedeutsamkeit des Formlosen“, die auch bei Britta Keber wieder auftauchen.

Britta Keber, sofern sie diesen theoretischen Bezug akzeptieren kann, entwickelt in ihrer künstlerischen Auseinandersetzung diesen Ansatz fort und erweitert ihn durch Integration so verschiedener Elemente wie Zeichnung, Malerei, Collage und Abbild zu ihrer eigenen, unverwechselbaren Signatur.

Ihre sinnliche Wirklichkeitserfahrung übersetzt Britta Keber in diese dichte und vielschichtige Sicht von Welt, ihre Linienführung, ganz aus dem Inneren heraus, nimmt Anklänge an der „ecriture automatique“ des Surrealismus – ein Bezug übrigens, der für Bataille ebenso wie für Maria Lassnig Gültigkeit hat.